Neueste Entwicklung bei Windelherstellern


  Neues Inkontinenzforum für Erwachsene  

Geschrieben von Admin SAM (m/54) am 10. Juni 2006 12:14:04:

Hallo...

Hier ein sehr interessanter Bericht der Firma HARTMANN ( Molicare Windeln )

Gruss...von Sam



Die Demografie des Wickelns
Deutschland vergreist und die Politik ist ratlos. Die Industrie stellt einfach um - von Baby- auf Seniorenwindeln
08.07.2004

Blickpunkt - Seite 03

Maxim Leo

HEIDENHEIM, im Juli. Gleich neben dem Eingang der Werkhalle hat Michael Heimberg eine kleine Vorführecke. In einem Regal sind verschiedene Windeltypen aufgereiht. Heimberg greift nach der größten Windel. "Das ist Molicare, unser Flaggschiff", sagt er. Heimberg erklärt, dass Molicare einen völlig neuartigen Saugkörper hat, der selbst bei Schwallentladungen einen optimalen Auslaufschutz bietet. Er verweist auf das atmungsaktive Fleeceteil am Beinausschnitt, "einzigartig in dieser Form". Es gibt auch dehnbare Bündchen.

Heimberg will das kurz demonstrieren. Er legt die Windel mit einem Griff über der Anzughose an, schließt die Bündchen und geht in die Hocke. Er sieht jetzt aus wie ein großes Baby beim Ski fahren. Die Bündchen dehnen sich.

Michael Heimberg ist Betriebsleiter der Firma Hartmann in Herbrechtingen nahe Ulm. Es ist das größte Werk für Erwachsenen-Windeln in Europa. Wobei Michael Heimberg nicht von Erwachsenen-Windeln sprechen würde, sondern von Inkontinenz-Produkten. Das klingt besser, sagt er.

Um ihn herum dröhnen die Maschinen. Gepresste Häufchen aus Zellulose schießen über lange Förderbänder, werden von Greifarmen mit Plastikfolie beklebt, mit Gummizügen vernäht, mit Bündchen verschweißt, zusammen gedrückt und verpackt. Zwei Millionen Windeln verlassen jeden Tag das Werk. Sechshundert Millionen im Jahr. Die Hälfte davon wird in Deutschland verkauft, der Rest geht in die ganze Welt. Und Herbrechtingen ist nur ein Standort von vielen. Insgesamt produziert die Hartmann AG 1,6 Milliarden Inkontinenzwindeln pro Jahr. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich der Umsatz mit dem Senioren-Nässeschutz mehr als verdoppelt.

Es ist eben so, dass die Bevölkerung immer älter wird, sagt Michael Heimberg. Und je älter die Leute werden, desto leichter werden sie inkontinent, desto mehr Windeln müssen produziert werden. "Wir sind in einem großen Kreislauf", sagt Heimberg.

Er kann das alles von hier aus gut beobachten. Die Vergreisung der Welt misst Michael Heimberg in Pruduktionszahlen. Die sind drastisch nach oben geschnellt in den letzten Jahren. Heimberg musste immer neue Fertigungslinien bauen, immer schnellere Maschinen einsetzen. Das Werk arbeitet sieben Tage in der Woche, rund um die Uhr. Der Materialfluss ist vollautomatisiert. Unbemannte Transporter fahren computergesteuert durch die Hallen und schleppen ohne Unterlass Zellulose, Folie, Klebstoff und Fleece heran. Ein Stockwerk höher packt ein Roboter die Windelpakete in Transportkartons, die im Containerbahnhof auf die Lastschlepper verteilt werden.

Gerade werden am Ende der Halle zwei neue Produktionslinien montiert. Eine für spezielle Männerwindeln und eine für die neue Molicare Mobile, die noch dünner und komfortabler sein soll. "Wir kommen noch hinterher mit der Produktion", sagt Michael Heimberg. Es klingt so, als müsste gleich morgen mit dem Bau einer neuen, noch größeren Fabrik begonnen werden, um mithalten zu können mit den ständig wachsenden Horden der Alten, die sich draußen in der Welt drängen.

Es könnte sein, dass hier in Herbrechtingen der Begriff Zukunftstechnologie gerade neu definiert wird. Bisher dachte man dabei an Computerchips, an Genforschung, an alternative Energien oder Nano-Technik. Aber wer dachte an Windeln? An Saugkörper oder an dehnbare Bündchen? Es könnte sein, dass es hier in Herbrechtingen in zwanzig, dreißig Jahren eine Stadt geben wird. Eine Fabrik-Stadt, voll automatisiert. Für eine Menschheit, deren einzige Wachstumschance ihr langes Leben ist.

Am Konzernsitz der Hartmann AG in Heidenheim, ein paar Kilometer vom Windel-Werk entfernt, lässt sich der Boom der letzten Jahre besichtigen. Hinter dem barocken Wohnhaus des Firmengründers Paul Hartmann und dem alten Verwaltungsgebäude steht ein klotziger Betonbau. Verbindungsgänge aus Glas führen zu riesigen Nebengebäuden, die wiederum mehrere Anbauten haben. Es sieht so aus, als sei mit jedem Marktschub auch die Firmenzentrale gewachsen. Hartmann breitet sich aus.

Im Besprechungszimmer des Vorstands sitzt Christian Wicenec. Er ist der Direktor des Issue-Managements. Das heißt, er ist dafür verantwortlich, Chancen und Risiken des Unternehmens in der Zukunft abzuschätzen. Wicenec hat ein paar Schaubilder mitgebracht. Grafik eins zeigt, dass die Zahl der Kinder bis drei Jahre in Deutschland bis 2015 um 25 Prozent sinken wird. Grafik zwei zeigt, dass jeder fünfte Deutsche dann über 65 Jahre alt sein wird. Wicenec sagt, dass jeder Dritte über 65-Jährige inkontinent ist. Dass die Inkontinenzquote bei über 75-Jährigen auf vierzig Prozent ansteigt. Dass die Lebenserwartung im Jahre 2015 in Deutschland bei 83,5 Jahren liegen wird.

"Viel mehr muss man gar nicht wissen", sagt Wicenec. Er weiß, dass Hartmann bisher alles richtig gemacht hat. Dass seine Firma keine Angst zu haben braucht vor der Zukunft, weil alles noch besser wird, als es jetzt schon ist. "Unser Markt wird immer größer", sagt Wicenec. "Auch wenn diese ganze Entwicklung für die deutsche Gesellschaft natürlich fatal ist." Er sagt, dass die Politik die Demografie erst vor zwei Jahren entdeckt hat. Dass Hartmann schon vor zwanzig Jahren reagiert hat. 1984 hat die Firma mit der Produktion von Erwachsenen-Windeln begonnen. Vor zehn Jahren haben Inkontinenz-Windeln bei Hartmann schon mehr Umsatz gemacht als die Baby-Windeln der Hausmarke Fixies. Im vergangenen Jahr hat der Konzern die Fixies-Produktion komplett verkauft. Weil es keinen Sinn macht, auf einen schrumpfenden Markt zu setzen.

Hartmann hat einfach umgeschaltet. Von jung auf alt. Sie haben der Demografie ein Schnäppchen geschlagen, haben sich die Alterspyramide so zurecht gerückt, dass sie wieder passt. Das geht, weil Babys und Greise dieselben Probleme haben. Weil Menschen am Ende wieder so werden, wie sie mal begonnen haben. Als Windelhersteller ist man immer auf der sicheren Seite. Ob Baby- oder Senioren-Boom, man hat etwas Passendes im Angebot. Es gibt auch noch ein paar andere, die das können. Hipp zum Beispiel, Deutschlands größter Babybrei-Hersteller, produziert heute ein Fünftel seiner Gläschen für Erwachsene. Die Firma Bübchen, bekannt für Baby-Wundcremes, hat jetzt auch eine Senioren-Linie und bietet das "2-Phasen-Lotion Bad" gegen Alltagsstress. Auch Alete positioniert sich neu. Als Hersteller von Wellness-Lebensmitteln.

Michael Wicenec, der Zukunftsbeauftragte von Hartmann, denkt jetzt oft an Japan. Er hat da auch ein paar Zahlen parat. Im Jahr 2015 wird das Sterbealter dort einen Weltrekord erreichen. 87,5 Jahre alt werden die Japaner dann im Durchschnitt werden. Fünf Prozent der Bevölkerung werden über hundert Jahre alt sein. Hinzu kommt, dass die Japaner sehr pflegeorientiert und zahlungskräftig sind. Ein idealer Markt für unsere Produkte, sagt Wicenec. Neulich hat Wicenec auch mal ein paar arabische Länder durchgerechnet. Aber der durchschnittliche Ägypter wird gerade mal sechzig Jahre alt und hat kaum Kaufkraft. Kein lohnendes Geschäft also.

Weil Michael Wicenec dafür bezahlt wird, in die Zukunft zu sehen, hat er ein Bild der Alten von Morgen entworfen. Er sagt, dass sie sich jünger fühlen werden als die Alten von heute. Dass sie viel länger aktiv und mobil bleiben und sich von ihren körperlichen Leiden nicht am Leben hindern lassen. Die Alten von Morgen, sagt Wicenec, erwarten, dass man ihnen optimale Lösungen für ihre Probleme bietet. Das heute noch verschämt behandelte Thema Inkontinenz wird enttabuisiert. Weil es nicht mehr das Gebrechen einer Minderheit sein wird, sondern ein Massenphänomen.

Wicenec sagt, dass die Krankenkassen nicht mehr in der Lage sein werden, Inkontinenzwindeln zu bezahlen. Dann wird das Medizinprodukt, das heute fast ausschließlich an Apotheken, Pflegeheime und Krankenhäuser verkauft wird, in jedem Supermarkt zu haben sein. Die Erwachsenen-Windel wird ein normales Konsumprodukt werden. Michael Wicenec denkt an offensives Marketing. An alte Menschen, die in einer Windel vor der Kamera stehen und nicht lächerlich wirken.

Dann holt Wicenec sein letztes Schaubild aus dem Ordner. Darauf steht ein Satz des griechischen Staatsmannes Perikles: "Es kommt nicht darauf an, die Zukunft richtig vorherzusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein."

Vielleicht wird es in ein paar Jahrzehnten schwierig sein, noch etwas für Babys zu bekommen. Die paar übrig gebliebenen Mütter müssen sich dann die Windeln aus dem Erwachsenen-Sortiment zurecht schneiden. So wie sich früher die Alten mit Babywindeln beholfen haben. Das Leben kehrt sich um. Es wird nicht mehr von vorne gedacht.

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