Re: Frage an ALLE hier: Wollen wir TABU`s brechen ?


  Neues Inkontinenzforum für Erwachsene  

Geschrieben von Maethor am 02. August 2005 13:54:

Als Antwort auf: Frage an ALLE hier: Wollen wir TABU`s brechen ? geschrieben von Admin SAM (m/53) am 31. Juli 2005 23:38:32:

Hallo Forum,

Ich möchte hier Jörgs Ansatz aufgreifen: Das Tabu entsteht zunächst in der Familie, also kann es auch dort abgeschafft werden. Meine These lautet, dass die Tabuisierung der Inkontinenz vor allem davon abhängt, wie wir als Kinder erzogen wurden. Die Erfahrungen unserer Kindheit bestimmen weitgehend, wie wir selbst später mit dem Thema umgehen. Es ist eben was dran an dem Spruch: Was das Hänschen nicht gelernt, das lernt der Hans nimmermehr!
Leider ist es doch immer noch so, dass Bettnässen bzw. Inkontinenz für die meisten Kinder und Jugendlichen traumatisierende Erlebnisse sind. Traumatisierend ist freilich nicht die Inkontinenz selbst, sondern die hämische, gewalttätige, oder (ebenfalls häufig anzutreffende) ignorante Reaktion des familiären Umfeldes darauf. Ich erlebte in meiner Kindheit sämtliche Varianten am eigenen Leib.
Ferner hängt viel von den falschen Vorstellungen ab, die Eltern vom "Sauberwerden" ihrer Kleinen haben. Wenn Eltern den Kindern ihre Windeln madig machen wollen höre ich ständig unsinnige und falsche Behauptungen wie diese: Windeln sind nur für Babys, die "Großen" tragen keine Windeln usw. Nicht nur, dass hier das Selbstwertgefühl des Kindes untergraben wird, falls es selbst Bettnässer bzw. inkontinent werden sollte - es wird auch beim Anblick eines inkontinenten Erwachsenen messerscharf "Baby" im Kontext von körperlicher und geistiger Schwäche assoziieren.
Ebenso schädlich ist der unter Eltern herrschende Wettkampf, wer sein Kind denn nun zuerst aus den Windeln hat. Wenn ein Kind "sauber" wird, erhält die Mutter bzw. der Vater die soziale Anerkennung der Verwandten und Freunde. Umgekehrt werden Kinder, die länger Windeln benötigen, als "Misserfolg" eingestuft - den Frust darüber lassen die Eltern dann am Kind aus. Diese sich freilich unbewusst vollziehende Wechselwirkung schürt alle Aspekte von körperlicher und seelischer Gewalt, der bettnässende bzw. inkontinente Kinder ausgesetzt sind.
Wen wundert es da noch, dass Inkontinenz im Erwachsenenalter als das letzte aller Tabus in unserer Gesellschaft gilt? Jene Assoziationen, die uns schon in der Kindheit eingeimpft wurden, bestimmen weiterhin unser Verhalten: Wer im Laufe seines Lebens einmal von Inkontinenz betroffen ist, verkriecht sich aus Angst vor Zurückweisung in sein Schneckenhaus.
Dennoch bin ich der Ansicht, dass in den letzten Jahren vieles besser geworden ist. Wir sollten nur nicht aufhören, die Ignoranz durch Aufklärung zu ersetzen, wenn wir auf sie treffen.
In anderen Gesellschaften ist das Tabu noch weit ausgeprägter als in Deutschland. Ich möchte das anhand einer Anekdote veranschaulichen. Eine gute Bekannte von mir ist Angestellte in einem Sanitätshaus. Sie schilderte mir, dass einer ihrer Verwandten im Auftrag eines großen Windelherstellers in den Iran reiste. Den Anlass gab ein Projekt, mit dem die Firma auch im Mittleren Osten Fuß fassen wollte. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass die Perserinnen körperlich etwas anders gebaut waren als die Europäerinnen. Die Vorlagen des Herstellers mussten also ein wenig angepasst werden, um Sicherheit und Komfort zu gewährleisten. Dazu sollte nun eine Untersuchung durchgeführt werden, an welcher der bewusste Mitarbeiter beteiligt sein sollte; per Annoncen wurden iranische Frauen gesucht, die Protoypen testen, bewerten und die Ergebnisse zusammen mit ihren Körpermaßen in Datenblätter eintragen sollten. - Kurz und knapp: Das Projekt kam zu keinem Ergebnis. Auf die Anzeigen hin meldete sich keine einzige Perserin. Inkontinenz? Hier? Papperlapapp! - Die Stigmatisierung der Inkontinenz in anderen Kulturen hat möglicherweise auch dazu beigetragen, dass Inkontinenz von manchen "Experten" als typisch "westliches" Leiden eingestuft wird - meiner Meinung nach eine Fehleinschätzung. In einigen Publikationen heißt es sinngemäß, dass in bestimmten Kulturen Inkontinenz so gut wie unbekannt sei, da die Menschen dort durch ihre "gesunde Lebensweise" für das Leiden nicht anfällig seien. Ein Trugschluss - nur weil niemand darüber spricht heißt das nicht, dass das Problem nicht existiert. Aber das nur am Rande.zwinker

Maethor



Antworten:


  Neues Inkontinenzforum für Erwachsene